Erschienen in polis – Magazin für Urban Development, Sonderausgabe 6/2019 (PDF)

ULI unterstützt größtes Stadtumbauprojekt der südkoreanischen Hauptstadt

Seoul ist eine der dynamischsten Städte Asiens und braucht keinen internationalen Vergleich zu scheuen. Die 10-Millionen-Einwohner Metropole vereinigt Tradition und Moderne in einer einzigartigen Mischung und bietet ein hohes Maß an Lebensqualität. Aber auch Seoul muss sich zahlreichen Problemen stellen. Der Druck auf dem Wohnungsmarkt und der Mangel an Bauland bedeuten enorme Hemmnisse für eine qualitätvolle und nachhaltige Stadtentwicklung.

Während in der Vergangenheit der Stadtumbau in Seoul vor allem vom großflächigen Abriss ganzer Stadtquartiere geprägt war, hat sich in den letzten zehn Jahren ein Wandel zu einer behutsamen Stadterneuerung vollzogen. Die Stadtregierung hat soziale Belange und Nachhaltigkeit weit oben auf die Agenda gesetzt.

Während das behutsame Vorgehen von offizieller Seite den Erhalt bestehender Strukturen unterstützt und Verdrängungsprozessen – zumindest zeitweise – entgegenwirkt, bedeutet dies für Grundstückseigentümer, Geschäftsleute und Projektentwickler häufig Unsicherheit in Bezug auf anstehende Investitionen oder sogar Stillstand.

Das aktuell größte Stadterneuerungsgebiete in Seoul ist der zentral gelegene Sewoon District mit rund 44 Hektar. In den späten 60er- und frühen 70er-Jahren entstand dort das erste Einkaufszentrum Südkoreas und eine Abfolge damals modernster Gebäude mit einer Mischnutzung aus Einzelhandel, Büro und hochwertigem Wohnen, die sogenannten Sewoon Arkaden. Diese bis zu dreizehngeschossigen Gebäude erstrecken sich auf einer Länge von rund einem Kilometer und haben eine trennende Wirkung für das gesamte Quartier.

Im Laufe der Jahre erfuhr das Quartier einen deutlichen Niedergang der sowohl die Arkaden, als auch das von Handwerkern, Zuliefererbetrieben und Einzelhandel geprägte Umfeld betraf. Investitionen blieben aus und das moderne Geschäftsleben verlagerte sich in andere Stadteile.

Die Stadtverwaltung startete mehrere Anläufe, um die Missstände zu beseitigen. Der radikalste Plan sah die Schaffung eines Hochhausviertels vor. Die Arkaden sollten komplett abgerissen und durch einen Grüngürtel ersetzt werden. Aus Kostengründen kam es nie zu einer Umsetzung. Ein neuer Plan aus dem Jahr 2014 sah einen Erhalt und die Erneuerung der Arkaden vor. Rechts und links davon wurde das Quartier in jeweils vier Sanierungsgebiete aufgeteilt, in denen ein umfassender Abriss und Neubau stattfinden sollte.

Nach erheblichen Protesten aus den Reihen der Gewerbetreibenden und zivilgesellschaftlicher Gruppen stoppte die Stadt die Umsetzung dieser Planung. Die Arkaden sollten nun mit neuen Nutzungen revitalisiert werden, wie zum Beispiel Ateliers für die Kreativbranche und Büroräumen für Start-Ups. Dies führte zu einigen Erfolgen, dennoch mangelte es an einem übergreifenden Gesamtplan für den Sewoon District, der allen Beteiligten aufzeigte, wie die Zukunft des Viertels aussehen sollte.

In dieser Situation hat das Urban Land Institute angeboten, ein Advisory Service Panel durchzuführen, ein Beratungsformat, beim dem sich eine internationale Expertengruppe spezifischen Fragestellungen einer nachhaltigen Stadtentwicklung widmet. Ein interdisziplinäres Team von zehn internationalen Fachleuten wurde daraufhin zusammengestellt, um nach einer Woche intensiver Arbeit in Seoul der Stadt Empfehlungen zu geben.

Neben zahlreichen Rundgängen, Expertengesprächen und Workshops, erwiesen sich die Interviews mit privaten Grundstückseigentümern, Handwerkern und Einzelhändlern als besonders aufschlussreich. Dort war die Sorge vor Verdrängungsprozessen weit weniger präsent, als anzunehmen gewesen wäre. Zum einen sind ein erheblicher Teil der Geschäftsinhaber kurz vor dem Ruhestand, zum anderen wurde die Infrastruktur im Quartier unstrittig als erneuerungsbedürftig angesehen. Möglichen Geschäftsverlagerungen innerhalb des Quartiers oder für lärm- und geruchsemmitierende Betriebe in andere Stadtteile wurde aufgeschlossen begegnet.

Am Ende waren sich die Fachleute einig, dass es eine konsistente Vision für den Sewoon District braucht, die einen Weg in die Zukunft zeigt. Bestehende Gewerbestrukturen benötigen einen Transformationsprozess und eine erneuerte Infrastruktur, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. In einem schrittweisen Entwicklungsprozess wird es auch Raum für neue Bauprojekte geben, um insbesondere den Wohnanteil zu erhöhen. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf Angebote für Haushalte mit niedrigem Einkommen, junge Paare und Studierende gelegt werden.

Es bietet sich an, die Sewoon Arkaden als Ort für Kreative und Start-Ups weiterzuentwickeln. In Kooperation mit Universitäten ist die Schaffung eines Sewoon Campus denkbar. Für schon ansässige Gewerbetreibende braucht es ein bis zwei Handwerkerhöfe oder Gewerbeeinheiten, um Verdrängung zu vermeiden und Platz für die Entwicklung neuer Bauvorhaben, attraktiver öffentlicher Räume sowie Grünflächen zu schaffen.

Um eine stringente Umsetzung zu gewährleisten, bedarf es einer, durch die Stadt gegebenenfalls unter Beteiligung privater Partner ins Leben zu rufenden, Entwicklungsgesellschaft. Diese muss die, durch die öffentliche Hand vorzufinanzierende, grundlegende Infrastruktur, wie Straßen, Kanalisation und Versorgung mit Strom, Wasser, Internet errichten. Erst dann wird es privaten Entwicklern möglich sein, ohne großflächige Abrisse, einzelne Projekte zu realisieren.

Diese Gesellschaft sollte auch einen Prozess mit allen Beteiligten zur Erstellung eines verbindlichen Masterplans, eines Konsensplans starten, der konkrete Projekte und einen Zeitplan beinhaltet. Auch in der Umsetzungsphase muss ein kontinuierlicher Beteiligungsprozess gewährleistet sein, damit das Erreichen der vereinbarten Ziele überprüft, aber auch eventuelle Korrekturen durchgeführt werden können.

Der Sewoon District bietet für die Stadt Seoul die Möglichkeit, auf dem Weg eines schrittweisen, kontextsensiblen Erneuerungsverfahrens, ein zukunftsweisendes, nachhaltiges Quartier zu schaffen. Das Urban Land Institute hat dazu mit seiner Expertise und seinen Ideen einen Anstoß gegeben.

Olaf Cunitz

ist Vorsitzender des Advisory Boards von ULI Germany und war Teil des Expertenteams in Seoul. Bis 2016 war er Bürgermeister und Dezernent für Planen, Bauen und Wohnen der Stadt Frankfurt am Main und unter anderem für das Projekt Neue Altstadt verantwortlich. Danach leitete er bis 2019 den Bereich Bauland- und Projektentwicklung der DSK Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft.

Urban Land Institute

Das von seinen Mitgliedern geführte Urban Land Institute wurde 1936 in Washington D.C. als gemeinnützige Forschungs- und Bildungsorganisation gegründet. Heute ist es weltweit mit über 44.000 Mitgliedern aktiv.

Das ULI ist eine der renommiertesten Organisationen und aktivsten Netzwerke der Branche. Es ein einzigartiger, weltweiter Think Tank, um gemeinsam mit den führenden Köpfen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und öffentlicher Verwaltung die zukünftigen Entwicklungspotenziale unserer Städte zu diskutieren und zu heben. Damit prägt es nicht nur die Immobilienwirtschaft, sondern übernimmt gesellschaftliche Verantwortung

Abschlusspräsentation

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Der vollständige Report ist hier verfügbar.