Zweifel an zentralen Aussagen des Frühjahrsgutachtens der Immobilienweisen

Dr. Marc Weinstock und Olaf Cunitz

Die „Party ist vorbei“ – so lauteten die Schlagzeilen über die Vorstellung des Frühjahrsgutachtens des Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA) am vergangenen Dienstag in Berlin. Im Wohnungsmarktteil hatte das Gutachten u.a. festgestellt: „Nach unserem Dafürhalten ist in Berlin sicherlich, in München wahrscheinlich und in Hamburg und Frankfurt möglicherweise mit einem Trendbruch bei den Kaufpreisen zu rechnen. … Die derzeit geforderten Kaufpreise stehen insbesondere in Berlin und München fundamental in keiner sinnvollen Relation mehr zu den Rahmenbedingungen.“ Damit verbunden war die indirekte Warnung vor weiteren Investitionen in die Top-7-Städte aufgrund einer sinkenden Renditeerwartung.

Gegen diese zentralen Aussagen für den Bereich der Wohnimmobilien spricht eine Reihe von gewichtigen Argumenten. Die zugrundeliegenden Annahmen sind ebenso wenig stichhaltig wie die volkswirtschaftliche Interpretation, die gesellschaftliche Veränderungen als Treiber von Bevölkerungsbewegungen weitgehend ausblenden. Der Fokus ist zu sehr auf die Zentren der Metropolregionen verengt und hat zu wenig das Umland als Gesamtentwicklungsraum im Auge.

Begriff der Schwarmstädte untauglich

Der Verfasser des Wohnungsmarkteils des Frühjahrsgutachtens, das Beratungsunternehmen empirica, prägte 2015 den Begriff der „Schwarmstädte“ und versteht darunter wachsende Städte, deren Bevölkerungszunahme von der Binnenwanderung vor allem jüngerer Bevölkerungsschichten profitiert. Eine exakte Definition, welche Merkmale eine Schwarmstadt kennzeichnen, gibt es nicht, vielmehr schrieb man damals: „Warum eine Stadt zur Schwarmstadt geworden ist … bleibt letztlich unklar.“ Dennoch werden im Frühjahrsgutachten des Vorjahres 30 deutsche Städte zur Schwarmstadt gekürt. In diesem Jahr überrascht das Gutachten dann mit der Behauptung, dass Berlin seinen Status als Schwarmstadt verloren hat und dies auch anderen Städten drohe. Dafür seien nun “kleinere Großstädte” wie Leipzig von einem Zuwanderungsboom erfasst. Erklärungen sucht man vergebens. Abgesehen davon, dass es seltsam anmutet, die zehntgrößte deutsche Stadt zu den “kleineren” zu rechnen, ist die Erklärung relativ einfach: Leipzig hatte in den letzten Jahren einen immensen Zuwachs an Arbeitsplätzen zu verzeichnen. Ein Faktor, der noch immer über Wachstum, Stagnation oder Schrumpfung einer Stadt entscheidet. Umso befremdlicher, dass im Frühjahrsgutachten behautet wird, “dass die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen nicht mehr der alles entscheidende Wanderungsgrund” sei. Auch die These, „der Schwarm“ … ziehe … „nunmehr an einigen Orten vorbei und“ … lasse … „sich an anderen Orten nieder“ ist wenig realitätstauglich: Es ist eben nicht derselbe Schwarm, der im vergangenen Jahr in Berlin Halt gemacht hat, sondern es sind schlicht und ergreifend andere Personen und Haushalte, die sich auf dem Weg zur Universität oder der ersten Arbeitsstelle jetzt nicht in Berlin niederlassen. Von diesen Inkonsistenzen in der Darstellung abgesehen, ist ein Erklärungsmodell, das ausschließlich rückwärts gewandt argumentiert und keine Prognosen liefert, wenig hilfreich, um Stadtplanung zu betreiben oder Investitionsentscheidungen zu treffen.

Trendwende bei Kaufpreisen und Mieten?

Aufgrund des angeblich neuen Schwarmverhaltens, also einer anders verlaufenden Binnenwanderung, kommt das Gutachten zu der Schlussfolgerung, dass ein Überangebot an Wohnungen in den Großstädten entsteht. In der Folge könnten Mieten und Kaufpreise um bis zu 30% sinken. Auch hier werden keine Erklärungen geliefert: „Offen ist die Frage nach der Ursache für die offenbar sinkende Anziehungskraft von Berlin, München und Hamburg.“

Tatsächlich ist die Aussage, die Zuwanderung von außen in die Metropolen habe sich abgeschwächt, richtig. Aber: Das muss nicht zwingend die sinkende Attraktivität dieser Städte belegen. Vielmehr ist der Zuzug in die Metropolregionen ungebrochen, allerdings mit einem wachsenden Trend zu Suburbanisierung. Dies liegt an einem nicht ausreichenden Angebot an Wohnraum in den Großstädten oder, damit korrelierend, sehr hohen Preisen. Die Alternativen finden sich im Umland von Hamburg, Berlin, Frankfurt oder München.

Weiter heißt es, die „derzeit geforderten Kaufpreise stehen insbesondere in Berlin und München fundamental in keiner sinnvollen Relation mehr zu den Rahmenbedingungen. … In den Preisen sind offensichtlich bereits weiter signifikant steigende Mieterträge eingepreist.” Diese seien aber in den großstädtischen Wohnungsmärkten nicht mehr zu erwarten.

Die zugrundeliegende Beobachtung ist richtig: In den vergangenen Jahren sind die Kaufpreise schneller gestiegen als die Mieten. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass der Markt für Eigentumswohnungen nicht reguliert ist, während der Markt für Mietwohnungen in hohem Maße (auch schon von der Einführung der Mietpreisbremse) reguliert war. Das bedeutet, dass Kaufpreise für eine Eigentumswohnung tatsächlich den Gleichgewichtspreis für die Wohnung widerspiegeln während Mieten aufgrund der bestehenden Regulierung die Nachfrage nach dem Wirtschaftsgut Mietwohnung eben nicht oder nur bedingt richtig anzeigen. Auch kann man daraus nicht ableiten, dass alle Käufer von steigenden Mieten ausgehen: Nach unseren Beobachtungen ist sowohl den privaten als auch den institutionellen Erwerbern von Wohnungen bewusst, dass die Immobilienrenditen zwar niedriger sind als in den Vorjahren – aber eben immer noch höher als die Renditen bei anderen Anlagemöglichkeiten, sofern es überhaupt sinnvolle Alternativen gibt. Verglichen mit den negativen Zinsen für das Horten von Liquidität ist der von vielen Investoren angestrebte Erhalt des eingesetzten Kapitals auch bei niedrigen Renditen noch immer gegeben.

Die Prognoseschwäche des Frühjahrsgutachtens erkennen die Verfasser offenbar auch selbst: “Es mag zwar nochmal eine Zeitlang so weiter gehen wie in den letzten Jahren, aber nicht mehr lange. Aus diesem Grunde verzichten wir dieses Jahr zwangsläufig auf einen Ausblick auf die Entwicklung von Preisen und Mieten.“

In den Großstädten weiter hoher Bedarf beim Wohnungsbau

Unseres Erachtens besteht in allen Metropolregionen weiterhin hoher Bedarf im Wohnungsbau, den man differenziert beschreiben kann:

Frankfurt konnte in den letzten Jahren deutliche Erfolge bei der Deckung des Wohnraumbedarfs erzielen. Allerdings sind die hauptsächlich dafür in Anspruch genommenen Flächen Teil von älteren Entwicklungsmaßnahmen gewesen. Eine Bereitstellung neuer, großer Entwicklungsflächen in ausreichender Zahl im Stadtgebiet ist für die nächsten Jahre nicht zu erwarten. Somit wird die Frage der Bewältigung des Zuzugs in das Rhein-Main-Gebiet immer stärker von der Baulandbereitstellung im Umland abhängig sein. Das Funktionieren dieser Entwicklung wird erhebliche öffentliche Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur notwendig machen.

In Berlin wird die Innenentwicklung mit einer in gleichem Maße stattfindenden Suburbanisierung einhergehen. Die steigenden Lebenshaltungskosten sind nicht mit entsprechenden Einkommenssteigerungen in allen Branchen einhergegangen. Damit hat Berlin einen wichtigen Standortvorteil vor allem für einkommensschwächere Haushalte verloren. Hinzu kommt der Trend zur Eigentumsbildung bei jungen Familien, die das Einfamilienhaus im Umland suchen, wenn Verkehrsanbindung und soziale Infrastruktur gegeben sind. Dies ist auch in Hamburg deutlich festzustellen und bedingt auch hier eine zunehmende Suburbanisierung. Diese geht aber, wie auch in Berlin oder München, nicht auf Kosten der dynamischen Entwicklung innerhalb der Stadtgrenzen.

Der Haupttreiber des anhaltenden Zuzugs wird auch in Zukunft die Wirtschaftskraft und damit die Verfügbarkeit bzw. Erreichbarkeit von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen sein. Dies läuft einher mit gesellschaftlichen Veränderungen, die in der Theorie der Schwarmstädte und im Gutachten bisher nur unzureichende Berücksichtigung gefunden haben. So ist ein wesentlicher Faktor der Urbanisierung – und im Gegenzug der Landflucht – zum Beispiel die steigende Frauenerwerbstätigkeit, die wiederum zu einer Zunahme von Doppelverdienerhaushalten mit Kinder führt. Für diese Familien ist Zeit ein wichtiger Faktor, also die Erreichbarkeit der Arbeitsplätze sowie das ortsnahe Vorhandensein von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen. Oder selbständig lebende, alte Menschen, die auf die Verfügbarkeit von barrierefreiem Wohnraum, ärztlicher Versorgung und kulturellen Angeboten Wert legen. Und letztlich bleiben die Zentren der Metropolregionen die entscheidenden Orte des Ankommens und der Integration für die Zuwanderung aus dem Ausland.

Wer so fahrlässig und um der Schlagzeilen willen vor einer Trendwende auf den Wohnimmobilienmärkten in den wachsenden Großstädten warnt, betreibt ein gefährliches Spiel: Sollten die Investitionen in den Wohnungsbau nachlassen und sollte bei der Politik der Eindruck entstehen, man könne bei der Flächenbereitstellung wieder etwas langsamer machen, dann wird genau das Gegenteil des Prognostizierten eintreten: Preise und Mieten werden weiter steigen, und der Druck auf die Märkte wird noch größer. Dem gilt es, mit den sachkundigen Analysen entgegenzuwirken. Die Wohnungsmärkte in den Metropolregionen brauchen weiterhin ein hohes Engagement aller Beteiligten.

Über die Autoren
Dr. Marc Weinstock ist geschäftsführender Gesellschafter der DSK | BIG Gruppe, dem einzig bundesweit tätigen Stadtentwicklers Deutschlands.
Olaf Cunitz ist Bereichsleiter Bauland- und Projektentwickler in der DSK und war zuletzt Bürgermeister und Baudezernent der Stadt Frankfurt am Main.

Der Text ist zuerst erschienen auf www.dsk-gmbh.de.