In den Großstädten entscheidet sich der Erfolg von Integration

Rede anlässlich der Eröffnungsveranstaltung der Reihe “Opening Academia” des Vereins academic experience worldwide mit dem Titel “Design by Nature” in der Zentralbibliothek der Stadtbücherei am 16. November 2016.

Zuwanderung ist kein neues Thema für Frankfurt, sondern Zuwanderung ist ein roter Faden in der Geschichte unserer Stadt. Es waren nicht ein paar Menschen, die in grauer Vorzeit am Ufer des Mains gelebt haben und plötzlich beschlossen haben, Frankfurt möge eine erfolgreiche Handels- und Messestadt werden, sondern es waren immer wieder Zuwanderungsbewegungen, die unsere Stadt groß und erfolgreich gemacht haben. Mal in kleinerem, mal im größeren Umfang.

Und auch in den letzten Jahrzehnten hat uns das Thema landesweit immer wieder beschäftigt: Wir haben in Deutschland 13-14 Millionen Flüchtlinge in Folge des Zweiten Weltkriegs, mehrere Millionen Aussiedler und Spätaussiedler, allein 3,5 Millionen Menschen aus der DDR sowie Hundertausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts aufgenommen.

Auf dem traurigen Höhepunkt der Balkankriege fanden bei uns in Frankfurt etwa 14.000 Menschen Zuflucht. Die höchste Zahl an Flüchtlingen die in den letzten 2 Jahren in Frankfurt untergebracht waren, dürfte um die 6.000 Menschen gelegen haben. Das sollte man wissen, bevor man das Wort Krise in den Mund nimmt. Denn das mag für die Fluchtursachen zutreffen, für die Situation bei uns vor Ort, aber wohl kaum.

Die zahlenmäßig größte Flucht- und Einwanderungsbewegung liegt hingegen viel weiter zurück. Es waren die Reformierten aus den katholischen Niederlanden unter spanischer Herrschaft, die im Zuge der Gegenreformation flüchteten. Über 100.000 von ihnen kamen zwischen 1560 und 1630 an den Main; in eine sehr viel kleinere Stadt als Frankfurt heute ist. Und zwischen 1685 und 1705 wurde mit gerade einmal 25 000 Einwohnern Frankfurt erneut zum „Centralplatz“, wie es damals hieß, für rund 100.000 Glaubensflüchtlinge. Ich denke, wir können also zu Recht sagen, mit Integration kennt sich Frankfurt aus.

Deutschland ist ein Einwanderungsland, auch wenn wir uns Jahrzehnte lang mit dieser Erkenntnis schwergetan haben, sie lange Zeit sogar geleugnet haben. Und die Großstädte sind in der Regel für Zuwanderer die Orte des Ankommens. Der Erfolg der Integration wird davon abhängen, wie gut eine Stadt darauf vorbereitet ist. Es stellen sich die Fragen, ob die Menschen, die hier ankommen, Arbeit bekommen, ob sie soziale Netzwerke aufbauen. Ob wir Bildungsangebote für ihre Kinder bereitstellen und ob sie eine Wohnung finden. Das sind ganz simple, aber äußerst wichtige Fragen. Welche Zukunft wir für diese Menschen, für die Zuwanderer vorbereiten, wird darüber entscheiden, ob sich daraus zum Beispiel eine neue Mittelschicht bildet oder ob wir soziale Verwerfungen in dieser Stadt bekommen werden.

Ich sagte es eingangs: wir wissen aus der Geschichte Frankfurts, dass Zuwanderung uns groß und stark gemacht hat und daraus können wir Zuversicht ziehen. In den vergangenen Monaten wurde zum Beispiel viel über die Zukunft der Frankfurter Börse diskutiert. Ohne den Einfluss von Flüchtlingen  gäbe es sie wahrscheinlich in der jetzigen Form überhaupt nicht. Denn die Börse wurde im Jahr 1585 gegründet – von den 13 Frankfurter Gründungsmitgliedern waren zwölf aus den Niederlanden eingewanderte Glaubensflüchtlinge.

Als Historiker erlaube ich mir noch einen weiteren, einen letzten Blick in die Vergangenheit: Im Jahr 1599 kam ein gewisser Abraham van Hamel, ein Gewürzhändler und Zuckerbäcker, nach Frankfurt. Ebenfalls ein Glaubensflüchtling aus den spanischen Niederlanden. Er bekam nach einiger Zeit die Bürgerrechte und hat sich entschlossen ein neues Haus zu bauen. Ein Vorhaben, das mit viel Ärger durch die Nachbarn und die Baubehörden verbunden war. Es war das Haus „Zur Goldenen Waage“. Ein Haus, das wir gerade jetzt auf dem Dom-Römer-Areal, unserer neuen Altstadt, rekonstruieren, und welches in Zukunft wieder in seiner ganzen Pracht erlebbar sein wird.

Das schönste Haus der Stadt Frankfurt hat also ein Flüchtling erbauen lassen, ein Haus, auf dem wir unsere Stadtgeschichte mitbegründen und das in besonderer Weise unser Verständnis von Heimat prägt, und das gibt mir die Zuversicht, dass wir in Frankfurt auch in Zukunft von Zuwanderung profitieren werden.

Ich bin den Initiatoren des Vereins academic experience worldwide immens dankbar für ihr vorbildliches Engagement. Dadurch wird sichtbar, dass Menschen zu uns kommen, die nicht nur etwas von uns brauchen, sondern die uns etwas zu geben haben, die etwas zu unserem Gemeinwesen beizutragen haben und es bereichern.